Sonntag, 19. September 2010

Asphalt

Nennt es verrückt, aber ich liebe die Körnung von Asphalt. Diese, ganz nah betrachtet, willkürlich angeordneten kleinen Steinchen, die andererseits aber grossflächig betrachtet, mit einer unerklärlichen Präzision aufgetragen, eine wunderbar gleichmässige Oberfläche ergeben. Grundgütiger, wir haben mehrere tausend Kilometer asphaltiert und ich wette die Steinchen liegen in Flensburg wie in München in gleichem Abstand zueinander.

Faszinierend!

Nach einem sonnigen Tag wärmt sich der Asphalt auf und speichert die Wärme bis in die Nacht. Heute war es sonnig. Und der Asphalt ist immer noch warm. Ich kann Tiere verstehen, die sich nachts auf irgendwelchen Landstrassen zum aufwärmen hinlegen. Würd ich auch machen als Tier. Ich spüre die kleinen Asphaltsteinchen auf denen mein Gesicht liegt. Es ist angenehm. Es tut nicht sehr weh. Nur im Bereich der Schläfe, dort wo nur eine dünne Hautschicht den Knochen schützt, ist es etwas unangenehm. Das kann aber auch vom Hinfallen sein. Bin ich Hingefallen? Auf den Kopf? Nein, bin ich nicht. Ich habe mich hingelegt. Bin nicht gefallen. Ich lege meine Hand drunter. Zum Glück habe ich mich auch direkt aus der Tür heraus übergeben und mich dann einen Schritt weiter weg vom Auto hingelegt. Nur den Motor und das Licht habe ich angelassen. Und die Tür ist auch noch auf. Ich bin aber froh das ich es noch auf die Parkbucht geschafft habe. Sonst müsste ich morgen im Auto einen Putztag einlegen. Hoffentlich liegen nicht noch meine Schuhe in der Kotze. Aber Schuhe sind nicht so schlimm.

Ich trinke in letzter Zeit öfter mal was. Mehr als sonst. Ein Auto kommt. Hinter mir. Ich erschrecke aber ich kann mich jetzt nicht bewegen. Dafür ist es gerade zu angenehm.

Das Auto kommt zum Stehen. Dann höre ich wie die Tür aufgeht und ein Mann mit schwarzafrikanischem Akzent zu mir spricht. Es ist lustig. Ich mag diesen Akzent. Mein schwuler Freund Arne, er steht nur auf schwarzafrikanische Typen, findet diesen Akzent sexy. Es hat wirklich irgendwas. Sexy finde ich es nicht aber schon irgendwie drollig. Dieser Mann schimpft offensichtlich mit mir aber es hört sich trotzdem an wie eine Gute-Nacht-Geschichte von Roberto Blanco. Ich mag das.

Der Mann hört auf zu schimpfen. Er steht jetzt hinter mir. Er packt mich an der Schulter und dreht mich auf den Rücken. Ich sehe ihn an. Jetzt wird er richtig wütend. Er schimpft noch aufgeregter als zuvor. Fuchtelt wild mit den Händen. Fragt mich Dinge. Mir wird schlecht wenn ich auf dem Rücken liege. Warum geht es mir nur so verdammt übel? Was habe ich denn bloss getrunken? Ein paar Bier, 4-5 Caipi´s und ein paar Tequila. Daran kann´s nicht gelegen haben. Da hatte ich vorgestern mehr. Und am letzten Wochenende. Gekifft habe ich heute auch nicht. Es wird wahrscheinlich das Lakritz gewesen sein. Die hatten bei STAPLES eine fette HARIBO-Nachmach Lakritz-Trommel im Angebot für 2,99EUR. Und weil ich absolut nichts kontrollieren kann, habe ich sie in einem Rutsch aufgegessen. Es muss das Lakritz gewesen sein. So schmeckt es auch.

Ich drehe mich wieder in meine Embryonalstellung zurück und übergebe mich. Der Mann schimpft immer noch. Er geht zu seinem Auto. Ich höre ein Funkgerät. Es muss ein Taxi sein. Ich bekomme nur Wortfetzen mit aber ich höre wie er mehrfach "Polizei" sagt. Wie schön. Ich mag die hamburger Polizei. Ich hatte wirklich nie Probleme mit Polizisten aus Hamburg. Nicht mal, dass sie unhöflich waren.

Ich versuche jedes Jahr zu Weihnachten, wenn ich es schaffe, zu der Polizeidienststelle in meinem Bezirk zu gehen um ein Pfund Kaffee abzugeben. Ist auch irgendwie lustig. Die tragen den Namen des "Spenders" in eine Liste ein. Ich frage mich immer ob sie das machen um die Leute danach "bevorzugt" behandeln zu können oder ob es eine Absicherung ist, wenn in dem Pfund Kaffee mal 2 LSD Trips drin sind. Waren bei mir aber nie. Wie gesagt, ich mag die hamburger Polizei.

Ich wurde immer respektvoll behandelt. Und ich bin Kiffer. Hab da auch einige kleinere Problemviertel-Schweinereien hinter mir. Aber trotzdem: immer freundlich. Na ja, fast. Einmal hat mich ein Polizist in Zivil mit seiner Dienstwaffe bedroht als ich auf der B73 im Berufsverkehr mein Auto über 2 Spuren quer geparkt hab um deren Radarfalle zu sabottieren. Aber selbst das kann ich nachvollziehen. Ich bin fast 2 Meter gross. Und wenn ich an seiner Stelle mit ca. 1,70m, von einem 2 Meter Menschen der ausser sich vor Wut scheint angegriffen werde, hätte ich die Waffe bestimmt nicht nur gezogen sondern in einer Affekthandlung auch benutzt.

Aus diesem Grund hasse ich Waffen. Ich habe noch nicht einmal einen Baseballschläger im Auto. Ein kleines Taschenmesser im Angelkasten. Das ist alles.

Ich höre wie noch mehr Autos anhalten. Es steigen Leute aus und diskutieren mit dem Taxifahrer. Es ist mir egal. Ich liege mit dem Rücken zu ihnen. Ich frage mich wie genau jetzt die Strasse heisst auf der ich liege. Ost-West-Strasse oder Willy-Brandt-Strasse? Haben sie die komplett umbenannt oder nur einen Teil? Und wenn, auf welchem Teil bin ich gerade? Schon komisch Strassen umzubenennen. Find ich sinnlos. Mag ich nicht. Blaulicht flackert von dem gegenüberliegendem Haus zurück. Ein Auto kommt. Die Polizei. Und der Asphalt ist auch noch warm.

Ein Mann, ich sehe nur seine Schuhe vor mir, stellt sich vor mich und fragt: "Alles in Ordnung? Brauchen sie Hilfe?" Das wird der Polizist sein. "Nee, nee Herr Wachtmeister." antworte ich, "Alles gut. Hatte nur einen Lütten zuviel. Nix schlimmes." Das mit dem Lakritz muss er ja nicht unbedingt erfahren. Das wär mir peinlich. "Können sie gehen?" Na klar kann ich. Ich will´s nur grad irgendwie nicht. So schön warm. Andererseits liege ich jetzt doch fast in meiner Kotze und ich könnte mich ruhig mal zusammenreissen und auch mal nett sein. Ist ja schliesslich die Polizei. Also antworte ich mit einem entschiedenen "Ja!". "Na gut. Dann stehen sie bitte auf und wir sehen, dass wir die Fahrbahn frei machen." Eine Aufforderung. Die Menschen hinter mir diskutieren aufgeregt mit einer Frau. Ich vermute es ist seine Kollegin. Ich stemme mich vom Boden ab und hocke mich hin. Mir ist verdammt schwindelig. Kotzen muss ich gerade nicht. Habe ich ja eben schon. Ein paar Sekunden verharre ich in der Hockstellung. Dann stehe ich auf. Bin etwas wackelig. Der Polizist greift mir unter den Arm und hilft mir.

Nun sehe ich die anderen Auto´s. Sie stehen hinter dem Taxi mit dem Warnblinklicht. Etwa 3-4 Auto´s. Die Menschen gucken mich böse an. Einige schimpfen. Was genau kann ich nicht hören. Die Frau ist wirklich eine Polizistin. Ich hatte recht. Erhasche kurz einen Blick von ihr und befinde sie für hübsch. Sie sagt den Leuten sie sollen weiterfahren. Bis auf den Taxifahrer. Irgendwie gemein. Der muss wahrscheinlich als einziger mit Autofahren Geld verdienen und darf als einziger nicht fahren. Jetzt aber erstmal versuchen zu gehen. Auf keinen Fall torkeln. Bloss keine Blösse geben. Ein bisschen funktioniert es. Ich will zu meinem Auto um den Motor abzustellen und das Licht aus zu machen. Das kostet auch nur unnötig Sprit. Der Polizist führt mich aber am Auto vorbei zu einer kleinen Mauer. "Das mit dem Auto machen wir schon." beruhigt er mich. Das ist gut. "Hier können sie sich hinsetzen." Ich setze mich auf die Mauer und stütze meinen Kopf auf meine Hände.

"Haben sie ihren Personalausweis dabei?" Ich gebe dem Polizisten meinen Ausweis. "Fahrzeugschein?" - "Liegt im Auto. Kann ich holen." - "Nein, lassen sie mal. das können wir gleich machen." Seine Kollegin kommt dazu. Die Autos fahren weg. "Und was hat er?" fragt sie. "Lütten ein über´n Durst." antwortet der Polizist. "Brauchen wir einen Rettungswagen?" - "Werden wir gleich sehen."

Der Polizist wendet sich wieder mir zu. "Wie ist ihr Name?" - "Matthias XXXXXXXX" antworte ich gestochen schnell. "Wohnhaft?" - "XXXXXstrasse 52, 210XX Hamburg" Wie aus der Pistole geschossen. "Haben sie jemanden der sie abholen kann?" - "Brauch ich nicht. Ich kann nach Hause gehen. Muss mich nur ein bisschen ausruhen." Er kommt näher und setzt einen väterlichen Ton auf: "Pass mal auf, jung. Gehen lassen können wir dich so nicht. Dafür bist du zu voll. Entweder du hast jemanden der dich hier abholt oder wir müssen dich über Nacht medizinisch überwachen." Ha. Verstanden! Er meint Ausnüchterungszelle. War ich nie. Will ich nie. Aber wer kann mich abholen? "Haben sie eine Freundin oder einen Freund? Einen Verwandten? Irgend jemanden der sie hier abholen kann?" - "Eine Freundin!" Oh Mann das gibt wieder Ärger. Sie mag sowas gar nicht. Aber diesmal ist es ein echter Notfall. Mal wieder.

Moment! Das ist gar nicht mehr meine Freundin! Warum eigentlich? Ach ja. Sie wollte zum Flohmarkt. Hatte ich ganz vergessen. Muss mich erst noch an die neuen Umstände gewöhnen. Fühlt sich komisch an. "Geht auch eine Exfreundin?" frage ich. Das hat sie offensichtlich amüsiert. Jetzt guckt auch seine Kollegin nicht mehr so grimmig. Schätze ich hab da einen Pluspunkt bei ihr gelandet. "Haben sie ihre Telefonnummer?" fragt mich der Polizist. "Klar. 0179 XXX XX XX" Ging auch wieder fix. "Gut. Wir rufen sie jetzt an und fragen ob sie sie abholen kommt." - "Sehr gut!" Ich lege mich auf die Mauer und schliesse die Augen. Übergeben muss ich mich nicht mehr.

Irgendwann höre ich ihre Stimme. Sie redet mit den Polizisten. Dann hilft sie mir in ihr Auto. Die Polizisten fahren weg. Wir fahren zu ihr.

Am nächsten Morgen wache ich in ihrem Bett auf. Das kenn ich. Hier bin ich oft aufgewacht. Sie weint. Sie sagt es sei OK wenn ich bei ihr noch dusche aber dann solle ich doch besser gehen. Ich hab hier noch einen Kleiderschrank mit meinen Klamotten. Das ist praktisch.